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Artikel:

Hybridzucht oder alte Sorten?

Hybridzucht oder alte Sorten?

Von Michael Wedenig, Bio-Naturgärtnerei Wedenig, Kärnten

Hybridzucht polarisiert. In Gartendiskussionen hört man viel von samenechten und „alten“ Sorten. Viele Hybridsorten haben aber unbestritten gute Eigenschaften, bei denen die weniger hochgezüchteten Varianten oft nicht mithalten können.
Ein Blick lohnt sich aber auf Kosten, Abhängigkeiten und Strukturen. Gleichzeitig brauchen alte Sorten aktive Zucht und Engagement, um unsere Ernährungsvielfalt zu erhalten. Hybridzucht kommt mittlerweile bei den meisten Gemüsearten und landwirtschaftlich genutzten Kulturen zum Einsatz – mit einer 100-jährigen Geschichte eine relativ junge Zuchtmethode. Der EU-weite Anteil an Hybridtomaten liegt beispielsweise bei über 80%. Bei dieser auch in der Tierzucht weit verbreiteten Methode werden reinerbige Elternpflanzen miteinander gekreuzt, das führt zu sehr hohen Erträgen. Werden diese Pflanzen (die sogenannte F1-Generation) weiter vermehrt, gehen diese positiven Eigenschaften jedoch wieder verloren und es kommen sogar schlechtere Wachstumseigenschaften der durch die Inzucht verkümmerten Elternpflanzen zum Vorschein. Hybridsaatgut muss also jedes Jahr neu zugekauft werden.
Dem gegenüber stehen sogenannte samenfeste Sorten, oft vereinfachend als „alte Sorten“ bezeichnet. Sie können weiter vermehrt werden, ohne dass ihre sortenspezifischen Merkmale verloren gehen.
Während sich der Begriff „samenfeste Sorte" auf die Zuchtmethode bezieht, wird der Begriff „alte Sorte“ für jene verwendet, die nicht mehr im Sortenregister eingetragen sind. Es gibt also auch moderne, samenfeste Sorten aus heutiger Züchtung. Sollen samenfeste Sorten erhalten oder weiter verbessert werden, muss man aber auch hier züchterische Maßnahmen setzen und Pflanzen selektieren oder gezielt kreuzen.

Hybridzucht ist sehr aufwändig und vermehrt kommen komplexe biotechnologische Methoden (die nahe an Gentechnik heranreichen, Anm, d. Red.) zum Einsatz. Beides spiegelt sich im Preis des Saatguts wider - ein einzelner Same beispielsweise der Sorte Kärntner Tomate kostet einen Euro! Ein Weitervermehren, Saatgut Tauschen oder das Entwickeln hofeigener bzw. regionaler Sorten ist nicht möglich bzw. nicht sinnvoll und nicht erlaubt. Das Hybridisieren wirkt wie ein eingebauter „Sortenschutz“, der den Saatgutfirmen einen jährlichen Absatz sichert und ist daher mitverantwortlich ist für den Erfolg dieser Zuchtmethode.
Hybridzucht ist aber nur ein Werkzeug, eine Methode und weder gut noch schlecht. Betrachten wir aber, wie sie verwendet wird, sehen wir, dass wenige große Saatgutfirmen den Großteil der weltweit verwendeten Sorten kontrollieren. Das führt zu einer Abhängigkeit von wenigen Saatgutunternehmen und zum Verlust von Selbstbestimmung in der Lebensmittelproduktion.

So gibt es immer weniger Sortenvielfalt, weil samenfeste Sorten von wenigen Hybridsorten verdrängt werden. Schaut man in die Gewächshäuser großer Tomatenproduzenten, finden sich dort höchstens eine Handvoll verschiedener Tomatensorten - aus weltweit etwa 4000 registrierten Sorten. Wenn sich große Züchter lange Zeit ausschließlich an den Anforderungen des Handels orientieren, führt das beispielsweise zu den aus den Supermärkten bekannten Tomaten, die nicht mehr gut schmecken - sondern nur mehr haltbares Wasser in Tomatenform sind.
Gleichzeitig gibt es mittlerweile aber auch geschmacklich gute Hybridsorten von großen Saatgutfirmen und auch kleinere Saatgutfirmen, die Hybridzucht betreiben und dabei äußerst gute und wohlschmeckende Sorten hervorbringen. Und gerade bei Tomaten und Glashausgurken bringen Hybridsorten eine Kombination von Ertrag, Krankheitsresistenz und Haltbarkeit, bei gleichzeitig gutem Geschmack, die man bei samenfesten Sorten in der Form nicht findet. Hybridsorten haben also durchaus ihre Berechtigung.

Als Gärtner, Bäuerinnen, Gartenbesitzer und Konsumentinnen dürfen wir uns aber gut anschauen, wem wir die Verantwortung über eines unserer wichtigsten Kulturgüter - das Saatgut - geben. Dabei ist weniger die Methode Hybridzucht eine Gefahr für unser Recht, unsere Ernährung und Landwirtschaft selbst nachhaltig zu bestimmen, für unsere Ernährungssouveränität, sondern die monopolistischen Strukturen, die dadurch gefördert werden.

Wie steht es um die „alten Sorten“? Das Potential ist groß, sie wurden aber lange Zeit züchterisch vernachlässigt. Deshalb ist es wichtig, dass es Unternehmen, Vereine, Gärtnerinnen, Bauern und viele weitere gibt, die die große Sortenvielfalt der alten Sorten nutzen, erhalten und weiter verbessern und sich gleichzeitig nicht vor Hybridsorten fürchten, die ja auch ein Teil der Vielfalt sind.

Das große Tomatenraten

Das große Tomatenraten

Eine kurze Geschichte über die Paradeiser, ihre Vielfalt und wo man diese finden kann!

  • Ist sie noch unreif oder kann sie schon geerntet werden? Gar nicht so leicht bei grünen Sorten!
  • Hat sich hier etwa eine Paprika verirrt?
  • Und was machen vermeintliche Johannisbeeren im Tomatentunnel?
  • Leuchtende Farbkleckse die eher an Zitronen und Orangen erinnern?

Ja, das Gärtnern mit Tomaten wird wohl nie langweilig und jedes Pflänzchen ist für eine Überraschung gut. Diese unendliche Vielfalt an Farben, Formen und Aromen verdanken wir einer Epochen-übergreifenden Selektionsgeschichte, die schon 200 vor Christus bei den Maya in Mittelamerika beginnt. Schon damals erhielt die Pflanze ihren bis heute bekannten Namen (Tomatl = Nahuatl für „dickes Wasser“).

Auch wenn viele bei sonnengereiften Tomaten eher an Bella Italia denken – vor 1492 musste die italienische Cuisine wohl auf Pizza, Sugo und Lasagne wie wir sie heute kennen verzichten. Eine erste europäische Beschreibung der Pflanze gab es ohnehin erst 1544. Der Italiener Pietro Andrea Mattioli beschrieb die Tomate als gelbe Frucht und gab ihr den Namen pomi d’oro (Goldapfel). Erst ab dem 17. Jahrhundert wagten es italienische Köche, die Früchte zu verwenden. Zu groß war wohl die Ähnlichkeit mit anderen, giftigen Nachtschattengewächsen. Ähnlich wie bei der Kartoffel verbannte man also auch die Tomate für einige Jahrzehnte zunächst in die Zierpflanzenabteilung, bevor sie ihren Siegeszug auf die europäischen Teller aufnehmen konnte. Dass sich die Paradeiser aber wirklich in den Speisegewohnheiten etablierten, ist eigentlich erst überraschend kurz her.

Tomatenvielfalt

Tomatenvielfalt im Garten der Vielfalt

Als Kuriosität wurden sie noch 1873 bei der Wiener Weltausstellung gezeigt. Erst 1900 gab es die ersten Paradeiser auf den Wiener Märkten. Im großen Stil hielten sie jedoch erst nach 1945 Einzug. Aus Bulgarien stammende Saisonarbeiter brachten hierbei das für den Anbau notwendige Wissen mit ins warme Burgenland und der großflächige Anbau nahm seinen Lauf. Aufgrund der verbreiteten Abneigung gegen Unbekanntes und der raueren klimatischen Bedingungen verbreiteten sich Tomaten in den westlichen Bundesländern Österreichs erst in den 1950er Jahren oder noch später. In manche Alpentäler kamen sie erst mit dem Bau der ersten Supermärkte.

2020 hingegen wurden bereits fast 60.000 Tonnen Tomaten in Österreich geerntet. Heutzutage besteht der Großteil der weltweiten Ernte aus einigen wenigen Sorten. Ausschlaggebend für diese modernen Züchtungen sind dabei eher die Transport- und Lagerfähigkeit als anstelle des Geschmackes. Dabei gibt es eine unendliche Zahl verschiedener Formen und Aromen. Diese Vielfalt zu erfassen ist vermutlich unmöglich – weltweit sind es tausende verschiedene Sorten. Um diese vom Verschwinden zu bewahren, ist es wichtig, mit samenfesten, alten Sorten zu Gärtnern. Die Hybridpflanzen der ewig gleichen roten Salattomate überlassen wir dabei lieber den riesigen Folientunneln, die der Versorgung der Supermärkte dienen.

Der Garten der Vielfalt beherbergt Sämereien von über 100 Tomatensorten. Jahr für Jahr werden sie von Hand ausgesät, pikiert, gepflanzt und gepflegt, um dann von den ersten reifen Früchten Saatgut für die nächste Saison gewinnen zu können. Durch den jahrelangen Anbau konnten sie sich bereits unter den weststeirischen Wetter- und Bodenbedingungen unter Beweis stellen und anpassen.

Um die Vielfalt der bunten Tomatenernte zu bestaunen und sich Inspiration und Saatgut fürs nächste Jahr zu holen, können Sie dem Garten der Vielfalt in Herbersdorf einen Besuch abstatten. Die laufende Tomatenausstellung zeigt zurzeit 66 Sorten – und es werden Tag mehr. Außerdem sind diese und viele andere Paradeiser am 3. September 2022 beim Tomaten-Chili-Fest im Grazer Attemsgarten zu bestaunen und zu verkosten. Auf jeden Fall einen Besuch wert!